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Dr. Stürzlinger im Archiversum |
Nicht jede Firma hat eines, aber fast jede braucht es. Manche haben eines, ohne es zu wissen. Andere wissen davon, aber nicht, wozu es gut sein kann: ein Archiv. Ein Ort, an dem nicht mehr Aktuelles aufbewahrt wird.
Wozu ein Firmenarchiv?
»Einerseits gibt es rechtliche Vorschriften, gewisse Dokumente längere Zeit aufzubewahren«, so Dr. Martin Stürzlinger, einer der beiden Leiter des Wiener Archiversum. »Firmen, Institutionen, Rechtspersonen, auch Vereine etwa, können davon betroffen sein.« Für manche Unterlagen besteht eine Verpflichtung, sie 100 Jahre lang aufzubewahren. Öffentliche Archive haben den Auftrag, bestimmtes Archivgut auf ewig aufzuheben. »Bei Firmen gelten oft 30 Jahre als Frist. Manche Belege müssen auch nur 7 Jahre verfügbar gehalten werden. Es kommt aber auch auf die Branche an. Fertigteilhäuserfirmen zum Beispiel müssen die Unterlagen zu jedem einzelnen Objekt so lange aufbewahren, wie es steht.«
Ein weiteres Motiv zum Aufbau und zur Pflege eines eigenen Archivs ist der Wunsch, der Traditionspflege zu dienen. Dies ist nicht nur dem Image der Firma nützlich, sondern gewährleistet auch eine lückenlose Dokumentation der Firmengeschichte. Es lässt die Entwicklung bestimmter Produkte oder des Unternehmens nachvollziehbar werden. »Manche Firmen arbeiten ganz gezielt mit ihrer Geschichte, sie publizieren sie oder bauen eine Marketingkampagne darauf auf.«
Das dritte gute Motiv, ein Firmenarchiv zu pflegen, klingt erst einmal überraschend: man möchte gar nichts aufheben. Sondern wegwerfen, Platz schaffen. Ein Gedanke, dem Dr. Stürzlinger als Leiter des Archiversum viel abgewinnen kann. Historiker zucken dabei zwar leicht zusammen, müssen aber auch zugeben, dass Vernichten erst das Aufbewahren ermöglicht. So ist es eine Hauptaufgabe eines professionellen Archivars, die Menge an Informationen zu reduzieren, um etwas Brauchbares zu schaffen. »Sonst kann man gar nichts mehr finden.« Im Finden aber besteht der Hauptnutzen eines Archivs. »Die Informationen müssen für möglichst jeden auf einfache Art zugänglich sein. Egal, wann jemand wonach in der Firma sucht, es sollte sehr rasch und zuverlässig gefunden werden können.«
Einen kleinen Tipp gibt der Archivar heute allen Computernutzern, die oft bei der Suche nach einer bestimmten Datei verzweifeln: Man sollte niemals mehr Ordner im System haben, als auf dem Desktop sichtbar sein können. 30 bis 40 wären das Maximum. Sie können Unterordner haben, aber auch diese sollten einer Struktur folgen. Am besten, man legt sich selbst dafür einmal eine Blaupause an und orientiert sich daran so weit wie möglich.
Der Wert der Struktur
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Archiversum, Wien |
Bei allen drei Motiven, ein gutes Firmenarchiv zu erstellen, kommt das Archiversum von Dr. Martin Stürzlinger und Mag. Stephen Biwald ins Spiel. Sei es, eine Firma möchte den Rechtsvorschriften Genüge leisten, die Traditionspflege sichern, oder Platz schaffen und Ballast abwerfen. Unabhängig davon, ob es sich um ein analoges oder digitales Archiv, um eine Mischform oder beides handelt.
Die Archivare sind nicht nur dann da, wenn Firmen nach historischen Fakten suchen, die Firmengeschichte erforschen oder nach einem ganz bestimmten Datum, einem Bild, einer Filmaufnahme oder einem Artikel stöbern möchten. Sondern auch, wenn sie ein Archiv erstmals anlegen, oder ein vorhandenes professionell strukturieren möchten. Die beiden sind ausgewiesene Experten dafür, Struktur in die Dokumentaufbewahrung zu bringen und arbeiten sich dabei vom Groben zum Feinen. »Wenn ich eine Struktur schaffe, muss sie vor allem übersichtlich sein«, sagt Dr. Stürzlinger.
Die Rolle des Archivars ist unterschieden von der des Historikers. »Ich bleibe immer in der Struktur hängen. Inhalte interessieren mich erst einmal nicht. Nur Namen, Daten, grobe Informationen. Dann wird der Akt auf Struktur geprüft, ich stelle fest, ob beispielsweise in den Mitarbeiterakten immer Fotos oder Gehaltsunterlagen sind. Wenn man weiß, dass die Personalakten niemals Fotos haben, braucht man diesen Akt nicht heranzuziehen, wenn man nach einem bestimmten Bild sucht.«
So ordnet er zuerst einmal die Informationen. In diesem Sprachgebrauch sind das zum Beispiel Dokumente, Datenbanken, Broschüren, Publikationen, Filme, Bilder, Grafiken und dergleichen mehr. »Ein persönliches Archiv würde ich anders aufbauen, als ein Firmenarchiv«, sagt er. »Persönliche Archive leben von der Erinnerung und es gibt da immer jemanden, der sich erinnert. Ein Öffentliches oder Firmenarchiv muss über die Erinnerung des Einzelnen hinausgehen.« Zugleich muss es Neueinsteigern möglichst rasch einen Zugang bieten und die gesuchte Information schnell finden lassen. Keine leichte Aufgabe.
Zuerst trifft er eine Auswahl, was überhaupt ins Archiv kommt. »Dann empfehle ich Teile, die man wegwerfen sollte. Um nicht alle Informationen zu verlieren, gebe ich Empfehlungen, zu verdichten, sodass nichts Wesentliches verloren geht. Und dann stellt sich natürlich die Frage, was ›wesentlich‹ heißt? Meint man den rechtlichen oder den historischen Standpunkt?«
Ein Firmenarchiv ist immer unmittelbar dort, wo die Dokumente produziert werden. Zum Beispiel müssen Protokolle von Vorstandssitzungen dauerhaft aufbewahrt werden, Bilanzen auch, aber keine einzige Rechnung nach Ablauf der vorgeschriebenen Frist von meistens 7 Jahren. Wie die Firma mit Archivgut verfahren möchte, ist auch eine persönliche Entscheidung des Unternehmens.
Die Archivare lassen größte Sorgfalt beim Auswählen und Aufbewahren walten und betreuen auf Wunsch auch periodische Überarbeitungen, wenn Kunden nicht ins Hintertreffen gelangen möchten. Für einen ersten Überblick und um eine erste Ordnung und Einteilung zu treffen, benötigt Archiversum ungefähr eine Woche, abhängig von der Größe und Art des Unternehmens.
Hat eine Firma sich für den Aufbau und die Pflege eines professionellen Archivs entschieden, profitiert sie nicht nur von der Gewissheit, dass »rechtlich Relevantes da ist und in angemessener Frist gefunden werden kann«, wie der Gesetzgeber es ähnlich formuliert. »Wenn man alles im Keller aufhebt, aber dann nichts findet, ist ein Archiv nicht sinnvoll.« Auch wenn der Betrieb oder die Institution eine Ausstellung plant, eine Firmenchronik verfassen möchte, eine Rückschau halten will oder in anderer Weise den einfachen und raschen Zugriff auf wichtige Unterlagen sicherstellen möchte, ist ein gut strukturiertes Archiv nötig. Wie viel Zeit dadurch über die Jahre eingespart werden kann, lässt sich nicht einmal ungefähr abschätzen.
Firmen schätzen darüber hinaus die Gewissheit, dass das
historische Erbe gesichert ist. Dann können sie dieses Erbe vielfältig nützen, nicht nur für Gerichtsfälle oder bei Veräußerungen, sondern auch für Marketing,
Publikationen von Firmenchroniken oder anderer Art und Expositionen. Und sind dabei nicht auf Dokumente angewiesen, die sich zufällig erhalten haben oder zufällig gefunden werden.
Dr. Stürzlinger betreibt auch das »Netzwerk Unternehmensgeschichte«, eine Nonprofit-Webseite, auf der sich Firmen kostenlos eintragen können.
http://wirtschaftsarchiv.at