Fernab vom Klischee des kauzig-ältlichen "Genealogen", den Archivare früher an solchen Merkmalen erkannten: "Männlich, bereits im Ruhestand, politisch eher rechts, nicht selten auf der Suche nach einem 'Adeligen' in der eigenen, meist bescheidenen Familiengeschichte und
vor allem Zeit raubend", sind moderne Genealogen und Ahnenforscherinnen nicht selten aus ganz anderem Garn gestrickt, wie Historikern und Archivarinnen auffällt.
Elisabeth Timm ist Kulturwissenschafterin und beschäftigte sich in den letzten Jahren im Rahmen ihrer Habilitation intensiv mit Familienforschung. Zur Zeit arbeitet sie am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien und berichtet von einem steigenden gegenwärtigen "starken
Andrang" beim Thema Familienherkunft und Genealogie. Steigende Archiv-Nutzerzahlen, prosperierende Mitgliedschaften in entsprechenden Vereinen vor allem aber diesbezügliche genutzte Web 2.0-Applikationen zeigen, dass die Frage "Wo komme ich her?" längst ihre sozialkonservative Note verloren und einer neuen, offenen, neugierigen Zugehensweise Platz gemacht hat.
Die Gründe zum detektivischen Forschen junger Menschen nach ihrer Herkunft ("heritage" im Englischen, wo dieser Trend ebenfalls zu beobachten ist) sind unterschiedlich, vor allem aber individuell. So manchen erinnert die damit verbundene Reisetätigkeit gar an Helden moderner Romane, die die halbe Welt auf der Jagd nach Codes und deren Entschlüsselung bereisen.
Todesfälle, gehütete Familiengeheimnisse und natürlich auch das Älterwerden finden sich häufig als Motive. Für Timm, die aus Zeitgründen selbst noch keine entsprechende Familienreise ins 19. oder 18. Jahrhundert unternommen hat, leisten die Familienbäumepflanzer der Geschichtswissenschaft wichtige Arbeit. Nicht zuletzt aufgrund technischer PC-Möglichkeiten konnten sie bereits so manches Archiv für sich gewinnen. Der Grund: Liegen gebliebene Aktenberge werden datenmäßig bei der eigenen Familien-Recherche erfasst und fließen in den Wissensbestand des jeweiligen Archivs zurück. Im Idealfall ergibt sich also eine Win-win-Situation für akademische Wissenschaft und die suchende Laien-Community, die ihre Ergebnisse in die Datenbanken tippt.
Am kommenden Montag hält Timm einen Vortrag. Die Spannbreite der Genealogie macht sie am Beispiel der "steirischen Volksgenealogie" fest. Den zweiten Teil des Vortrages widmet die 40jährige Wissenschaftlerin dem gegenwärtigen "Woher komme ich?"-Boom im Internet.
Aus den "Käuzen mit fragwürdigen Motiven" früherer Tage ist eine Bewegung geworden, die sich nicht nur selbst Hilfestellung gibt, sondern auch Quellenkunde vermittelt. Wollte man früher "seinen Adeligen" im
mühsam zusammen getragenen Familienstammbaum finden, geht es heute oftmals ums Kennenlernen von "über drei Ecken miteinander verwandten" Fremden. Es erinnert ein wenig an Facebook, nur deutlich gehaltvoller und aufwendiger.
Vortrag von Elisabeth Timm "Entgrenzte Genealogien -Verwandtschaft-Machen zwischen populärer Praxis und Techniken der Biomacht seit dem 19. Jahrhundert", IFK (Wien 1., Reichsratstrasse 17),
Termin: 9. November; Beginn: 18.00 Uhr, Freier Eintritt
Infos auch unter: http://www.ifk.ac.at/ ; http://www.adler-wien.at/.
Quelle
Fotos: Symbolbilder
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